Die Idee

Einer der Schwerpunkte von ARCHEMED liegt in der Behandlung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen und darüber hinaus in der Verknüpfung von Geburtshilfe und Neugeborenenmedizin, der sog. Perinatologie. Auch vor dem Hintergrund, dass die politische Situation in Eritrea gerade nicht einfach ist, haben wir uns gefragt, warum wir diese wertvollen Erfahrungen nicht auch in anderen Ländern anbieten sollten. Und warum wir mit unserem Wissen nach Afrika reisen müssen, wenn auch bei uns „um die Ecke“ ein deutlicher Versorgungsengpass vorherrscht, den man mit wenig Aufwand beheben könnte. Natürlich – Albanien ist ein Beitrittskandidat der Europäischen Union und mit den schwerwiegenden Problemen in Ostafrika sicher nicht zu vergleichen. Und dennoch gibt es auch hier Missstände: Albanien ist ein zentralisiertes, auf die Hauptstadt Tirana ausgerichtetes Land, welches vor allem in der Peripherie einen eklatanten Mangel an medizinischer Versorgung erkennen lässt. Gebärende Mütter und ihre Neugeborenen bleiben in der Provinz unterversorgt. ARCHEMED möchte mit einem kleinen, zeitlich auf begrenzten Projekt helfen, medizinische Angebote und Strukturen vor allem auf dem Land zu verbessern.


Die Sondierungsreise

Zur Evaluierung eines neuen Projektlandes haben wir uns selbst einen strengen Kriterienkatalog auferlegt. Zur Bestandsaufnahme werden die medizinische Ausgangssituation, die personellen, räumlichen und technischen Voraussetzungen sowie die erforderlichen Ressourcen ermittelt. Daraus ergibt sich eine Kostenschätzung für die Teameinsätze, die Materialien und sonstigen Anschaffungen. Unabdingbar für den Beginn eines neuen Projektes ist eine verlässliche Kooperationsbereitschaft des Projektpartners vor Ort. Im gemeinsamen Dialog werden das langfristige Ziel sowie das entsprechende Vorgehen definiert.
Vom 21. – 25. Mai 2021 reisten die beiden FGM-Projektleiterinnen Anne Rieden und Antje Thomas sowie unser Pädiater Dr. Matthias Röbbelen nach Albanien, um dort mögliche Projekte für ARCHEMED auszumachen. Vorbereitet und organisiert wurde diese Reise durch den deutsch-albanischen Verein IDEAL e. V. und die Honorarkonsulin Frau Anduena Stephan sowie den Verein albanischer Ärzte in Europa AMFE. Dank dieser guten Vorbereitung konnte das Team alle wichtigen Ansprechpartner im Gesundheitsministerium und in den Kliniken treffen und erhielt einen guten Überblick über das Gesundheitssystem in Albanien.


Das Gesundheitssystem in Albanien

Albanien ist eines der ärmsten Länder Europas, entsprechend unzureichend ist auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung. Vor allem in den ländlichen Gebieten herrscht ein großer Mangel an (Fach-)Ärzten. Ohnehin ist die Diskrepanz zwischen der ärztlichen Betreuung in der Stadt und der in der Provinz recht groß: die Basisversorgung der Menschen erfolgt in einfachen Gesundheitszentren, auf der zweiten Stufe folgen die Regionalkrankenhäuser und einziger Maximalversorger ist das Uniklinikum in der Hauptstadt Tirana.
Neben dem staatlichen prosperiert der private Gesundheitssektor, den sich jedoch nur die wenigsten Menschen leisten können. Damit wird Gesundheit zu einer Frage des Geldes. Wird man in Albanien ernsthaft krank, bedeutet das eine deutliche Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Betroffenen.

Die Versorgung von Frühgeborenen und kranken Neugeborenen

Von dieser Mangelsituation ist auch der Bereich der Neu- und Frühgeborenenversorgung betroffen. Die Säuglingssterblichkeit in Albanien ist viermal so hoch wie in Deutschland und bildet mit knapp 9 Todesfällen auf 1.000 Lebendgeburten das Schlusslicht in Europa. Zwar sind die Regionalkrankenhäuser teilweise mit einer pädiatrischen Abteilung, in manchen Fällen sogar einer basalen neonatologischen Einheit ausgestattet, aber eine intensivmedizinische Versorgung der Frühgeborenen und kranken Neugeborenen ist nur in Tirana möglich.
Kommt also in der Provinz ein Baby als Frühgeburt zur Welt oder ist ernsthaft erkrankt, so muss dieser Säugling in schlecht ausgestatteten Fahrzeugen (z. T. ohne Transportinkubator, der Sauerstoff ist nicht regulierbar) in die Hauptstadt gebracht werden, um dort die notwendige Behandlung zu erfahren. Dieser Missstand sowie der Ausbildungsgrad des Pflegepersonals tragen bei, dass gerade in den letzten Jahren die Säuglingssterblichkeit in Albanien wieder langsam angestiegen ist. Und genau hier setzt die Unterstützung von ARCHEMED an ...

Das Neonatologie-Projekt in Shkodra

Die Stadt Shkodra mit ihren etwa 150.000 Einwohnern liegt im Norden Albaniens, etwa zwei Autostunden von Tirana entfernt. Das Regionalkrankenhaus mit einem Einzugsgebiet von 250.000 Menschen unterhält insgesamt 500 Betten, 75 davon stehen Kindern zur Verfügung. Frauen ab der 33. Schwangerschaftswoche können hier entbunden werden, alle anderen werden in die Hauptstadt Tirana verlegt. Der Wunsch der Klinik ist es, in Shkodra die neonatologischen Möglichkeiten so zu verbessern, dass auch Frauen ab der 30. Schwangerschaftswoche in Shkodra sicher gebären und ihre Kinder, wenn notwendig, beatmet werden können. Die Klinik in Shkodra würden dann mit ihrer Neonatologie-Abteilung ein Versorgungsschwerpunkt für den Norden des Landes. Der gefährliche Transport kranker Frühgeborener entfiele für die Mehrzahl der Notfälle.
Das Krankenhaus in Shkodra ist sehr sauber und gepflegt, die technische Ausstattung zwar alt, aber soweit funktionstüchtig. Das bestehende Personal ist interessiert und motiviert. Im Gespräch äußerte die Klinik den Wunsch, dass ARCHEMED die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte schulen und trainieren könnte. Die vier Kinderfachärzte erbitten die Möglichkeit einer neonatologischen Spezialisierung und Weiterbildung. Die technische Ausstattung der Abteilung sollte schrittweise ergänzt und erneuert und das Personal entsprechend angelernt werden. Als Projektdauer sind zunächst drei Jahre geplant, bei zwei Projektreisen pro Jahr. Ein neues ARCHEMED-Projektteam „Neonatologie Albanien“, bestehend aus erfahrenen Pädiatern und Neonatologie-Pflegekräften, muss noch rekrutiert werden. Die Aufgaben im Einsatz werden sein: Vorträge und Schulungen zu den gewünschten Themenfeldern, Analyse und Verbesserungen der internen Abläufe, bedside-teaching, Bedarfsermittlung für neue Geräte.